Meine leider größtenteils noch immer aktuelle Rede als Studentenvertreter anläßlich der Sponsion des Maschinenbaujahrganges 1963/64 an der (TH-Wien heute) TU-Wien:

Ich glaube, daß über die Gelegenheit zu danken hinaus diese Feier zum Überdenken unseres Studiums an der Hochschule und unserer zukünftigen Aufgaben Anlaß geben sollte. Wir sind es auch unseren Eltern und Angehörigen schuldig, zu erklären, wie eine derart lange Studienzeit zustande kommt. Eine Untersuchung von Doktor Gerd Baron über den Matrikeljahrgang 1962/63 -also den Jahrgang vor uns-ergab folgendes: Von 209 Maschinenbaustudenten, die im Jahre 1962 ihr Studium begannen, hatten bis zum vorigen Jahr 91, das heißt zirka die Hälfte, ihr Studium aufgegeben, nur 12 ihr Studium beendet; von den restlichen 106 hatten nur 74 bis zu diesem Zeitpunkt, das heißt innerhalb von 14 Semestern, die erste Staatsprüfung absolviert, und nur 13 weitere bestanden im Laufe des 14. Semesters die zweite Staatsprüfung. Zusammenfassend ergibt sich folgende Bilanz: Bis zum 14. Semester hatten zirka die Hälfte ihr Studium aufgegeben und nur zirka zehn Prozent das Studium mit Erfolg beendet. Ein derartiger Wirkungsgrad könnte bei keiner Maschine in Kauf genommen werden.

Wie ist diese Ausfallsquote zu erklären? Die Erklärung kann weder darin gesucht werden, daß die Studenten zu dumm oder zu faul sind, noch darin, daß die Lehrer zu schlecht seien. Der Grund liegt vielmehr in der Tatsache, daß die Bestimmungen, die den Studienbetrieb regulieren sollen, den heutigen Bedingungen nicht mehr angepaßt sind. Dies führt im Studienbetrieb zu einer Anhäufung sinnlosen und unstrukturierten Faktenwissens, das durch die Entwicklung der Wissenschaft lawinenartig ständig weiter zunimmt, verhindert die Einführung moderner Lehr-, Lern- und Prüfungsmethoden, beeinträchtigt die Koordination zwischen den einzelnen Fachvertretern und gewährleistet nicht eine genügende Betreuung durch Professoren und Assistenten; weil diese zahlenmäßig in keinem Verhältnis zur Hörerzahl stehen. Auch kann ich den Professoren den Vorwurf leider nicht ersparen, daß sie für notwendige Verbesserungen erst dann gewonnen werden können, wenn die Unzufriedenheit und Unruhe unter den Studenten einen Höhepunkt erreicht haben - auch wenn es unter den Professoren begrüßenswerte Ausnahmen gibt. Die studentischen Forderungen, das Verständnis einiger Professoren und die Einsicht des Parlaments haben schließlich vor einem Jahr zur Einrichtung der Studienkommissionen an der Technischen Hochschule in Wien geführt. In den Studienkommissionen sind Professoren, Assistenten und Studenten paritätisch vertreten, und in ihnen wurde beziehungsweise wird noch versucht, Studienpläne zu erstellen, die organisch aufgebaut sind, das heißt, daß zu Beginn des Studiums, wo eine Wahlmöglichkeit noch nicht sinnvoll erscheint, auch die Lehrveranstaltungen aufeinander abgestimmt und auf die Bedürfnisse des zweiten Studienabschnitts ausgerichtet werden. Ziel dieser Studienkommissionen ist es auch, enzyklopädische Anhäufung von Faktenwissen auszumerzen und dafür die Studenten in die Lage zu versetzen, eine Übersicht zu gewinnen und Zusammenhänge zu durchschauen, also auch mehr sein Denken und weniger sein Gedächtnis zu beanspruchen. Dies ist besonders deswegen wichtig, da in unserer Zeit ja nichts so schnell veraltet wie eine Maschine, die Grundlagen für diese Maschinen jedoch über lange Zeit gleich bleiben. Was die Wissensvermittlung betrifft, gibt es bereits modernere Techniken, als 50 die Worte des Professors ohne Verständnis mitschreibende Studenten. In dieser Hinsicht ist die Technische Hochschule noch allzu untechnisch. Die Relation von einem Assistenten zu mehr als hundert Stundeten, wie zum Beispiel in Mathematik, ist auf 1:25 zu reduzieren. Ein weiterer, besonders krasser Mißstand, gegen den die ÖH schon oft Schritte unternommen hat, ist die Schutzlosigkeit der Studenten gegen Prüfungsmethoden. So erging es auch einigen Kollegen hier und mir persönlich bei einer Einzelprüfung, daß ich bis zu dreimal zur mündlichen Prüfung vorgeladen und wieder weggeschickt wurde; erst beim viertenmal innerhalb von drei Wochen war der Professor bereit, die Prüfung abzuhalten. Es braucht im einzelnen nicht angeführt zu werden, wieviel an Nervenkraft hier sinnlos verschwendet wurde. Weiters soll die Studienreform die Absolventen durch die Spezialisierung im Diplomarbeitsfach dazu befähigen, sofort, ohne nachgeschaltete Lernperiode, in einen entsprechenden Industriezweig überzutreten.

Es muß aber auch betont werden, daß immer wieder von einigen Professoren Tendenzen zu Reformen ausgegangen sind. Daß diese Reformbestrebungen im derzeit bestehenden Hochschulsystem nur geringen und kurzfristigen - wenn überhaupt einen - Erfolg zeitigten, liegt in der Natur patriarchalischer autoritärer Systeme. Die einzelnen Patriarchen wollen sicher oft Gutes und können dies, wenn sie dazu fähig sind, auch gelegentlich durchsetzen. Dieser persönliche gute Wille ist aber keine Garantie, daß nicht die Vorschläge und Interessen vieler übergangen werden, weil eben nur einer autoritär entscheidet. Die Studenten fordern daher mit Recht für sich und für die Assistenten Mitbestimmung an der Hochschule, damit auch die Ansichten und Interessen der von den verschiedenen Maßnahmen Betroffenen zur Geltung kommen. Die an der Technischen Hochschule in Wien bereits eingerichteten Studienkommissionen bilden einen vielversprechenden Anfang einer Demokratisierung der Hochschulen. Es ist dies auch höchste Zeit, daß jede Gesellschaftsform, die seit über 50 Jahren in unserem Staat besteht, die Demokratie, auch an den Schulen eingeführt wird, zumal nicht zu erwarten ist, daß bei einer autoritären Erziehung, einer Erziehung zum unkritischen, unterwürfigen Untertanen, plötzlich beim Übertritt ins Berufsleben kritisches Denken und demokratisches Verantwortungsbewußtsein auftreten. Die Krise unserer Demokratie ist nicht zuletzt auf die seit dem Zusammenbruch der Monarchie nicht geänderten Erziehungs-und Bildungsformen zurückzuführen.

Es ist zu hoffen und wir alle wünschen es unseren Kollegen, die noch studieren, daß diese Reformen des Studienplans der Lehrmethoden und der Prüfungen dazu führen, daß mehr Diplomingenieure bei gleichem Ausbildungsniveau nach kürzerer Studienzeit diese Hochschule verlassen. Wenn sich die Professoren dazu durchringen könnten, Noten nicht nur als Ausdruck der Intelligenz bzw. des Fleißes der Studenten zu betrachten, sondern gleichzeitig als Maßstab für ihre pädagogischen Fähigkeiten, würde mein Optimismus, den ich als Mitglied der Studienkommission für Maschinenbau wohl habe, berechtigter sein.

Zur zweiten Staatsprüfung selbst ist zu sagen, daß sie mit unnötiger nervlicher Tortur verbunden ist und zweckmäßiger gestaltet werden könnte. In dieser Meinung stimmen uns auch sehr viele Professoren bei. Im neuen Studiengesetz über technische Studienrichtungen wurde die zweite Staatsprüfung daher umfunktioniert zu einer Verteidigung der Diplomarbeit und besteht nur mehr aus zwei Fächern: jenem Fach, dem die Diplomarbeit entstammt, und einem, das mit der Diplomarbeit im fachlichen Zusammenhang steht. Weiters muß uns bewußt sein, daß mit der zweiten Staatsprüfung der Lernprozeß nicht zu Ende ist. Wir werden als Diplomingenieure ein Leben lang lernen müssen, und es wäre wünschenswert, wenn dies im Rahmen der Hochschule möglich wäre, z: B: als postgraduiertes Studium, Kursveranstaltungen und ähnlichen Einrichtungen.

Schließlich müssen wir noch festhalten, daß die Hochschule eine Aufgabe noch höchst unvollständig erfüllt hat, wie dies auch in anderem Zusammenhang der Vorsitzende der Staatsprüfungskommission festgestellt hat. Für unsere Berufsausübung, die in immer stärkerem Maß ein arbeitsteiliges Teamwork zwischen Wirtschaftsfachleuten und Technikern zur Voraussetzung macht, wurden wir in dieser Hinsicht nicht vorbereitet. Den Technikern wird nicht in hinreichendem Maß gesamtwirtschaftliches Verständnis und Wirtschaftlichkeitsdenken nahe gebracht. Ebensowenig wurde das Denken an die Auswirkung unserer technischen Leistungen entwickelt. Statt dessen wurde uns ein Objektivitätsanspruch eingeimpft, eine Überzeugung, daß der Techniker im Gegensatz zu anderen Berufen der eigenen Gesellschaft objektiv gegenüberstehe und fähig sei, "allein aus der Sache heraus" im "Interesse der Allgemeinheit" objektive Maßstäbe zu setzen. Der "Technikstudent" hat nie erfahren, daß in dem abstrakten Plädoyer für "den Menschen", das "Gemeinwohl" und die "Industrie" der Kern zur potentiellen Unmenschlichkeit liegt. Die Ausbildung war rein fachlicher Natur, das heißt es wurden niemals die Beziehungen zwischen der Arbeit des Technikers und dem gesellschaftlichen Prozeß aufgezeigt. Die Vorstellung, die Gesellschaft beeinflussen zu können, wird allzuleicht abwertend zur Politik gezählt, jenem angeblich schmutzigen Geschäft, dem sich ein Techniker angeblich nicht zuwenden dürfe. Die alleinige Ausrichtung auf die objektive Sachlichkeit kann aber eine schwere Unterlassungssünde sein; hier kann deutlich werden, wie weit die Verführbarkeit technizistischen Geistes gediehen ist. Der Ingenieur darf sich nicht kritiklos dazu hergeben, Verfahren zu entwickeln, die den Menschen schaden, die die Lebenserwartung von Produkten möglichst niedrig halten, er darf nicht in der Profitmaximierung das einzige Lebensziel sehen und die Methoden der Tötung perfektionieren. So eine Ausbildung wäre falsch, die dazu verleitet, ein Denken in technischen Kategorien auch auf nichttechnische Bereiche, etwa Gesellschaft und Kultur, bedenkenlos anzuwenden und zu übertragen; das wäre eine Fehlentwicklung, die der spanische Philosoph Ortega y Gasset in seinem "Aufstand der Massen" aufzeigt: "Denn früher konnte man die Menschen einfach in wissende und unwissende, in mehr oder weniger wissende und mehr oder weniger unwissende einteilen. Aber der Spezialist läßt sich in keiner der beiden Kategorien unterbringen. Er ist nicht gebildet, denn er kümmert sich um nichts, was nicht in sein Fach schlägt, er ist auch nicht ungebildet, denn er ist ein Mann der Wissenschaft und weiß in seinem Weltausschnitt glänzend Bescheid. Wir werden ihn einen gelehrten Ignoranten nennen müssen, und das ist eine überaus ernste Angelegenheit, denn es besagt, daß er sich in allen Fragen, von denen er nichts versteht, mit der ganzen Anmaßung eines Mannes aufführen wird, der in seinem Spezialgebiet eine Autorität ist." Und dieser Versuchung -hiermit möchte ich schließen-, der Versuchung zum gelehrten Ignoranten, müssen wir widerstehen.