KHG-Braunschweig : Hochschulgottesdienst

in St. Ägidien , So., 08.02.04 - 18 Uhr
Predigt : Prof. Dr. techn. Reinhard Leithner
Korrigiert 04.03.04
Menschenfischer
Simon Petrus war bereit, einem ungewöhnlichen Ratschlag zu folgen:
Er fischte am Tag, hatte Erfolg, und Jesus machte ihn und seine Genossen zu Menschenfischern.

Warum begeistern wir, die Nachfolger dieser Menschenfischer, immer weniger unsere Mitmenschen? Warum ist das Christentum für viele bedeutungslos geworden? Ich glaube, das liegt daran, daß unser Christentum in zweifacher Hinsicht erstarrt ist:
  1. Es ist erstarrt in einem falschen Weltbild; ein Beispiel dafür mag das Schicksal Galileo Galileis sein. Die katholische Kirche brauchte 400 Jahre, um ihren Fehler einzusehen. Mit dem Weltbild hängt aber auch ganz wesentlich unsere Gottesvorstellung zusammen.
  2. Das Christentum ist erstarrt in Bezug auf das alltägliche Leben, die sozialen Fragen und d.h. letzten Endes in Bezug auf die Politik. Seit Konstantin der Große das Christentum von einer grausam verfolgten Sekte zur Staatsreligion gemacht hat, ist das Verhältnis der Christen zu Macht und Reichtum häufig nicht mehr christlich zu nennen. Es gab den Streit, wer die erste Macht im Staat ist, der Papst oder der Kaiser. Es gab die Anbiederung an die Staatsmacht auch bei Martin Luther, es gibt Parteien, die ein C in ihrem Namen führen, das sie nicht verdienen, von anderen schrecklichen Beispielen wie dem Segen für Waffen und die NS-Zeit mal ganz abgesehen. Es gab und gibt immer wieder den Verrat an den Interessen der kleinen Leute, der Armen und Ausgestoßenen, derer sich Jesus zum Entsetzen vieler Zeitgenossen angenommen hat. Ja, es gibt sogar den Calvinismus, der in völliger Verdrehung der Bergpredigt den Reichtum zum Zeichen des Segens Gottes macht und die Armut und Krankheit zur Folge der Sünde. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, daß sich die Reichen nicht um die Armen zu kümmern brauchen, und dieses Gedankengut ist die Basis der Reagonimics und der Globalisierung.
Für mich berühren aber diese beiden Aspekte das Hauptgebot Jesus: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Vernunft (5. Buch Mose). Dies ist das größte und erste Gebot. Das andere aber ist diesem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (3. Buch Mose). An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten (Matthäuse 22,34-30). Die Frage nach dem höchsten Gebot war Jesus von den Pharisäern, den Gesetzestreuen, gestellt worden, und Jesus ließ sie genauso abblitzen wie zuvor die Sadduzäer mit ihrer Frage, welchem der 7 Brüder eine Frau bei der Auferstehung gehören soll, die sie der Reihe nach nach jüdischem Recht heiraten sollte, weil sie kinderlos starben. Jesus antwortet: Ihr seid im Irrtum und versteht weder die Schrift noch die Macht Gottes. Denn in der Auferstehung werden sie weder heiraten noch verheiratet werden, sondern sie sind wie die Engel des Himmels; und er fährt fort: Gott ist doch kein Gott der Toten, sondern der Lebenden.

Damit komme ich zurück zu meinem Weltbild.

Im Alter von 15 oder 16 Jahren beschäftigte mich die Frage nach dem Sinn des Lebens. Meiner Mutter fiel diese Grübelei auf, und da sie selber keine Antwort wußte, schickte sie mich zum Pfarrer; dieser hatte allerdings auch keine befriedigende Antwort, und so beschäftigte mich die Frage weiter. Sie war und ist natürlich mit der Frage verknüpft, was geschieht nach dem Tod? Macht es Sinn, überhaupt zu leben?

Zu diesem Zwiespalt, leben zu wollen – unbegrenzt – und keinen Sinn zu erkennen, trug auch der Zwiespalt zwischen dem naturwissenschaftlichen Weltbild und dem Glauben bei, die für viele Menschen heute unvereinbar sind.

Leider ist das allgemein übliche naturwissenschaftliche Weltbild verhaftet in den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts. Viele Naturwissenschaftler huldigen der Allmachtsphantasie, daß sie alle Naturgesetze kennen oder bald kennen würden, wodurch der ganze Lauf der Welt berechenbar wäre, die Menschen keinen freien Willen hätten und für Gott vielleicht noch ein Platz als Verursacher des Urknalls vor ca. 30 Milliarden Jahren und als Zuschauer in Frage käme. In letzter Konsequenz erklärte daher Nietzsche Gott für tot und Helmholtz verkündete den Wärmetod der Welt als unausweichliche Folge des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik, wonach sich alle Temperaturen ausgleichen sollten und keine freie Energie mehr übrig bliebe für irgendeine Lebensaktivität.

Ich denke, die Kirche läßt sich mehr oder weniger bewußt auf dieses Weltbild ein, indem sie diese materielle Welt ergänzt um die geistige Welt, die Seele, das Jenseits, in dem Gott wirkt. Vielleicht auch ein wenig, um auf diese Weise Macht zu behalten. In meinen Augen ist aber diese Aufspaltung in Materie und Geist eine Rückkehr zur Irrlehre des Manichäismus.

Dabei ist z. B. der Urknall, der erst kurze Zeit nach O die moderne Physik wie Einsteins allg. Relativitätstheorie, die Quantentheorie Max Plancks etc. berücksichtigt, eigentlich sehr unlogisch. Auf die einfachen Fragen, was war vor dem Urknall, warum soll im Urknall die Massen- und Energieerhaltung nicht gelten, gibt die Vorstellung vom Urknall keine Antworten.

Prof. Priester und Dr. Blome vom Institut für Astrophysik der Uni Bonn haben Anfang der 90iger Jahre des letzten Jahrhunderts das „Urschwung“modell entwickelt. Danach hat das Universum seit ewigen Zeiten als Quantenvakuum mit hoher Energie existiert. Im Laufe der Zeit zog sich das Quantenvakuum zusammen, wobei die Materie sozusagen auskondensierte. Seither dehnt sich das Universum wieder aus.

Der Physiker Frank J. Tipler hat in seinem vor 10 Jahren erschienenen Buch „Physik der Unsterblichkeit“ versucht, die Naturwissenschaft und die Religion zu versöhnen. Ich kann nicht allen seinen Vorstellungen und Theorien folgen, ich kann sie auch nicht alle verstehen, dazu fehlen mir Grundlagenkenntnisse, aber dieses Buch hat mich doch sehr stark beeindruckt, weil es mir plausibel gemacht hat, daß Frank J. Tipler erläutert das so: Wir alle werden in der fernen Zukunft auferstehen und an der Weiteentwicklung des gesamten Universums in den Omegapunkt hinein teilhaben. Den Begriff des Omegapunktes hat er dem Buch des Pierre Teilhard de Chardin „Phénomène humaine“ entnommen, das leider von der Kirche abgelehnt wurde und mehr eine Vision als Naturwissenschaft zum Inhalt hat.

Wenn das Universum räumlich und zeitlich nicht begrenzt ist, könnte es Gott sein, wenn es so wie wir Menschen eine Persönlichkeit wäre, die wir nicht begreifen können, der wir aber als Brüder und Schwestern Christi ähnlich sind. Das klingt vielleicht pantheistisch, ist es aber nicht, wenn wir zugeben, daß wir als Menschen weder die Möglichkeiten des Universums begreifen können, noch je verstehen werden, was die Zeit ist, solange wir leben. Die Hoffnung, daß wir uns zu Gott hin entwickeln, widerspricht aber nicht den Gesetzen der Physik; wir können und dürfen sie haben, und sie ist ein wesentlicher Inhalt unseres Glaubens.

Zu den Gedanken, zum sozialen Leben und zur Politik haben mich vor allem Bücher von Heiner Geißler, Erwin Ringl, Edward Luttwak, Jeremy Rifkin, Friedhelm Hengsbach SJ und Michael Moore angeregt; ferner auch Klassiker von George Orwell, Aldious Huxly und Jewgenij Samjatin.

Jesus hat die Gesellschaftsordnung seiner Zeit auf den Kopf gestellt mit seinem Wort: Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Und dieses Wort würde – angewandt – auch die heutige Gesellschaftsordnung auf den Kopf stellen.

Es stören mich die in den letzten 10 Jahren zunehmenden Täuschungen, Lügen, Halbwahrheiten und offen zu Tage tretenden egoistischen legalen und kriminellen Handlungen einzelner und ganzer Gruppen. Es gäbe noch weitere Beispiele wie Kriege auf Grund von Lügen gegen ehemalige Freunde, Gesundheitsrefom, Hochschuloptimierung, Eliteuniversitäten. Die Kirche, d.h. wir sollten diesen Lügengebäuden praktisch und mit Worten entgegentreten. Nur so kann der Teufelskreis durchbrochen werden, der immer gleich funktioniert: Zuerst werden Mängel/Fehler, die es immer und überall gibt, aufgebauscht, bis Reformen oder gar Kriege unausweichlich erscheinen und viele Menschen Maßnahmen zustimmen, von denen abzusehen ist, daß sie kurzfristig einigen unverschämt nützen, aber langfristig allen schaden.

Schließen möchte ich meine Predigt mit einem Gedicht von Erich Fried (1921-1988) und damit zurückkommen auf die Frage nach dem Sinn des Lebens:

Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Mich erinnert dieses Gedicht an die Worte Gottes aus dem brennenden Dornbusch an Moses: Ich bin, der ich bin. Und die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens ist für mich, dass ich durch mein Leben zu einer Person werde und Gott mich liebt, so wie ich werden kann, denn Gott kümmert sich nicht um die Vergangenheit, weder um die des linken noch des rechten Schächers und auch nicht um meine, denn er ist ein Gott der Lebenden und nicht der Toten.

Literatur:

Chossudovsky, Michel: Global brutal – der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg (1997: The Globalisation of Poverty. Impacts of IMF and World Bank Reforms, erschienen bei Third World Network, Penang, Malaysia), 2002, Zweitausendeins, Postfach, D 60381 Frankfurt am Main, ISBN 3-86150-441-3

de Chardin, Pierre Teilhard SJ: Le Phémonène humain, Editions du Seuil, 1955, First published in the English language by William Collins Sons & Co. Ltd., London, and Harper & Brothers, New York, 1959, First issued in Fontana Religious Books, 1965 Revised edition December 1970, printed in Great Britain Collins Clear – Type Press, London and Glasgow

Geißler, Heiner: Das nicht gehaltene Versprechen – Politik im Namen Gottes, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1997, ISBN 3-462-02618-6

Geißler, Heiner: Was würde Jesus heute sagen? – Die politische Botschaft des Evangeliums, Rowohlt, Berlin, 2003, ISBN 3-87134 477x

Hengsbach, Friedhelm SJ: Die andern im Blick

Hengsbach, Friedhelm, SJ: Hat die soziale Marktwirtschaft eine ethische Qualität? www.khg-karlsruhe.de/seiten/archiv/docs/hengsbach.pdf

Huxley, Aldous: Brave New World, Schöne neue Welt – Ein Roman der Zukunft, Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuchverlag GmbH 1981

Luttwak, Edward: Turbo-Kapitalismus – Gewinner und Verlierer der Globalisierung, Europa Verlag, Hamburg-Wien, 1999, ISBN 3-203-79549-3

Moore, Michael: Stupid White Men – eine Abrechnung mit dem Amerika unter George W. Bush, Piper, München-Zürich, 16. Auflage 2003, ISBN – 3-492-04517-0

Odenwald. Michael: Urschwung statt Urknall, VDI-Nachrichten Nr. 12. 20. März 1992, Seite 15, basierend auf einem Aufsatz über den „Urschwung“ von Prof. Wolfgang Priester und Dr. Hans-Joachim Blome vom Institut für Astrophysik in Bonn: “Big Bounce in the very early universe“ publiziert in: Astronomy and Astrophysics, Band 250, Seite 43, 1991

Orwell, George: Animal Farm, Penguin Books in Association with Secker & Warburg, 1951, reprinted several times, 1973, Farm der Tiere, 1951, Diogenes Verlag, Taschenbücher

Orwell, George: Nineteen Eighty-four, Ullstein Taschenbuch

Priester; Wolfgang: Neue Erkenntnisse über Ursprung und Entwicklung des Kosmos-Alternative zur Urknall-Singularität. Technische Mitteilungen 87 (1994) Heft 1, Seite 3-12

Ringl, Erwin und Kirchmayr, Alfred: Religionsverlust durch religiöse Erziehung, Herder Wien-Freiburg-Basel, ISBN 3-210-24.779-X

Rifkin, Jeremy: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Fischer Taschenbuch Verlag, 3. Auflage Januar 2003, ISBN 3-596-15156-2

Samjatin, Jewgnij: My (Wir), 7. Auflage 2000 Köln, Kiepenheuer & Witsch 1984

Thiede, Werner: Platz für den Weltgeist – Quantenmechanik/ Als das Welterklärungsmonopol der Naturwissenschaft zu Ende ging, Rheinischer Merkur/Christ und Welt, Nummer 1, 2003

Tipler,Frank J.: Die Physik der Unsterblichkeit, R. Piper GmbH & Co. KG, München 1994 ISBN 3-492-03611-2

Vaas, Rüdiger, Knapp, Wolfram: Bis in alle Ewigkeit, Bild der Wissenschaft 6/1999